Ist das jetzt gut oder schlecht? Die Wolken sind mittlerweile so dicht geworden, dass ich nicht mehr sehen kann, wie weit es neben mir nach unten geht. Weit genug jedenfalls, um den eben losgetretenen Stein nicht unten aufprallen zu hören. Der in die Felswand gehauene Pfad ist gerade breit genug für mich und mein Rad und ich bin dankbar für das Stahlseil, das fest im Gestein verankert zu sein scheint, sich aber weiter vorne im Nebel verliert.
Deutlich habe ich Haralds Worte noch im Ohr, dass man nur im Grenzbereich der persönlichen Komfortzone den wirklichen «Flow» erfahren könne. Und dass ich mich hier eindeutig in diesem Grenzbereich bewege, merke ich an meinen zitternden Knien. Mit Komfort hat das hier allerdings herzlich wenig zu tun; und von «Flow» will ich auch nicht sprechen, während ich mich mit dem Rad in der Hand am Stahlseil entlanghangele, fest darauf konzentriert, den Absturz in den tiefen Abgrund zu vermeiden.
Augenscheinlich hätten hier im 2. Weltkrieg wilde Schlachten stattfinden sollen, denn das weitverzweigte Netz aus Zugangs- und Versorgungswegen, Materialdepots und Verteidigungsanlagen wurde auf beeindruckende Art und Weise in die Berge gebaut. Der Krieg hat diese Region aber dann glücklicherweise verschont, sodass die Pfade heute noch überwiegend gut in Schuss sind und sich hier «eigentlich» beste Bedingungen zum Biken bieten.
«Eigentlich» bedeutet hier zweierlei: Erstens sind die Trails recht abgelegen und nur mit grossem Pedalier-Aufwand zu erreichen; zweitens sind sie streckenweise so technisch und exponiert, dass man sich schon sehr genau überlegen muss, was man hier macht. Dafür wird man aber mit einem Bike-Abenteuer der besonderen Art belohnt: spektakuläre Landschaften und Gebirgsformationen, wie man sie in Europa nicht erwarten würde, mit atemberaubenden Blicken in unerschlossene Täler und Schluchten und im Hintergrund oft das Meer. Dazu bietet der ständige Wechsel aus schnell vorbeiziehenden Wolkenbänken und durchbrechendem Sonnenschein ein Naturschauspiel, das diese ohnehin bizarre Bergszenerie noch ein ganzes Stück dramatischer erscheinen lässt.
Bis auf ein paar vereinzelte Wanderer treffen wir auf den einsamen, felsigen Pfaden niemanden – und tatsächlich kommen wir mit der Zeit auch in einen richtigen Bike-Flow. Die verblockten, exponierten Mutproben werden im Streckenverlauf immer zahmer und die schroffen, rustikalen Trail-Formationen sanfter. Wo wir oben noch bei jeder Kehre das Hinterrad versetzen mussten, zirkeln wir ein paar Meter tiefer schon sportlicher um die Kurven. Und auch das Tempo nimmt zu. Allmählich trauen wir uns sogar, das Rad wieder etwas laufen zu lassen, und fliegen durch die ligurische Landschaft, die in jeder Höhenlage ihren eigenen Charakter zeigt. Das Beste aus aller Welt, versammelt auf einem einzigen Trail!
Dann ist es Zeit für eine Pause. Schliesslich sind wir schon seit den frühen Morgenstunden unterwegs. Eine Einkehr auf einer urigen Berghütte? In dieser Gegend Fehlanzeige. Deshalb haben wir alles in unseren Rucksäcken mit dabei, was wir brauchen: Zusätzlich zum übrigen Gepäck finden Expeditionsnahrung, Kocher, Topf, ein paar Schüsseln und Besteck im neuen EXPLORER PRO locker Platz, sodass wir uns auf einem Felssporn zum Mittagessen niederlassen. Sogar für eine Kaffeemaschine hat der Stauraum noch gereicht. Mit den Kaffeetassen in der Hand sitzen wir da, schauen in die Wolken und geniessen die «Leichtigkeit des Seins».